Gewalt gegen Kinder

Text der ARD: Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie“ Dieser Satz, den viele Erwachsene aus der eigenen Kindheit kennen, hat zuletzt traurige Aktualität bekommen. In Bayern haben die Behörden mehrere Kinder der 12 Stämme“ in Obhut genommen, weil Prügel mit Rohr und Rute in der umstrittenen Glaubensgemeinschaft auch im Jahr 2014 als Erziehungsmittel noch ganz offen und selbstverständlich eingesetzt werden.

Tatsächlich ist es in Deutschland erst seit dem Jahr 2000 gesetzlich verboten, Kinder zu prügeln. Erst mit den Reformbewegungen seit Ende der 1960er Jahre setzte sich allmählich ein anderes Verständnis von Kindererziehung durch. Wer heute sein Kind schlägt, kann angezeigt und bestraft werden. Noch 1997 scheiterte ein umfassendes Verbot von Gewalt gegen Kinder an der schwarz-gelben Koalition und dem Argument, das Erziehungsrecht der Eltern werde dadurch zu sehr eingeschränkt.

In einer 45-minütigen Dokumentation zeigt die ARD die Historie von Prügel als Erziehungsinstrument. Es geht um die Zeit, als Schläge mit Rohrstock, Teppichklopfer oder Ledergürtel in den Familien und Schulen ganz selbstverständlich zur Erziehung dazu gehörten und es hieß: Eine Tracht Prügel hat noch niemandem geschadet“. Denn die meisten Kinder und Jugendlichen sprachen nicht über das, was Eltern und Lehrer ihnen antaten – und leiden bis heute darunter. Viele Geschlagene schämten sich, andere nahmen die Prügelstrafe als normal“ hin. Kein Wunder: Noch 1968 musste das Bundesverfassungsgericht darüber verhandeln, ob die Rechte des Grundgesetzes für Kinder überhaupt Gültigkeit haben.

Der Film begleitet drei Menschen, die zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Systemen massiv geprügelt worden sind. Tilman Röhrig (Jahrgang 1946) wurde regelmäßig von seinem Vater, einem evangelischen Pfarrer, gezüchtigt. Getreu dem alttestamentarischem Motto wer seine Rute schonet, der hasset seinen Sohn“ wurde Tilman mit der Reitpeitsche blutig geschlagen und musste danach trotz allem die Liebe zum Vater bekennen. Weder Schule noch Nachbarn in Essen nahmen in den 50er Jahren Anstoß an den Strafaktionen seines Vaters. Auch bei Helga G. (Jahrgang 1940) schauten die Nachbarn weg, wenn ihre Mutter zuschlug. Sie wuchs im Saarland in einer Familie von Anhängern des Nationalsozialismus auf. Prügel gehörte hier zum Alltag. Der Onkel, ein ehemaliger SS-Mann, ließ alle Kinder zur Züchtigung antreten. Die Mutter schlug die Tochter das letzte Mal, als Helga schon 23 Jahre alt war, wenige Tage vor ihrer Hochzeit. In der Schule waren es die Nonnen, die Helga mit Stockschlägen auf die Hände traktierten.
In der DDR war körperliche Gewalt gegen Kinder zumindest offiziell verpönt, zwar nicht gesetzlich verboten, aber es galt: Prügel widerspricht der sozialistischen Erziehung. Lehrern war das Schlagen mit der ersten Schulverordnung in der Sowjetischen Besatzungszone 1947 verboten. Doch nicht alle hielten sich daran. So hat es auch Lutz Stiller (Jahrgang 1959) erlebt. Einigen Lehrern an seiner Schule saß die Hand recht locker. Zu Hause litt er unter den Wut- und Prügelattacken seiner überforderten Mutter, die ihre vier Kinder in Leipzig alleine großzog.

Die Prügel in der Kindheit haben alle drei geprägt – die eigene Wehrlosigkeit, die Demütigung, das Wegschauen von Nachbarn und Verwandten. Tilman ist Schauspieler und Schriftsteller geworden, hat so die Anerkennung gefunden, die er zu Hause nicht bekam. Eigene Kinder hat er keine, das habe er nicht gewagt. Helga hat ihre eigene Familie Halt gegeben und die ehrenamtliche Arbeit in der Telefonseelsorge und im Krankenhaus. Ihre Tochter und ihren Sohn hat sie nie geschlagen. Und Lutz hat im Erwachsenenalter gänzlich mit seiner Mutter gebrochen, die ihn auch da noch maßregeln wollte.

Die drei Protagonisten werden von einem vielstimmigen Chor ergänzt. Männer und Frauen unterschiedlicher Generationen erzählen, wie verbreitet noch lange die Überzeugung war, dass Kinder nur mit Schlägen erzogen werden können und wie sehr Kinder darunter leiden mussten.

Die Idee für den Film hatte Ingrid Müller Münch, die Autorin des Buches Die geprügelte Generation – Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen“.

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Interessanter Beitrag zum reinhören auf Deutschlandfunk, einfach den Link anklicken

In der DDR war Prügeln in Schulen seit 1949 verboten. Körperliche Gewalt widerspreche der sozialistischen Erziehung, so das Ministerium für Volksbildung. Doch auch dort nahmen es einige Lehrer die ersten Jahre nicht so genau. Eltern durften allerdings ihren Nachwuchs weiter schlagen.“

Ein dickes Fell und darunter große seelische Belastungen

Ein dickes Fell, wie Fritz es hatte, war für Kinder früher überlebenswichtig. Heutige Untersuchungen zeigen, Kinder, die regelmäßig geschlagen werden, sind gewalttätiger als die, die dies nicht erfahren. Viele leiden später unter Mangel an Selbstvertrauen, Depressionen, Angststörungen oder Drogenabhängigkeit.


https://www.deutschlandfunk.de/pruegeln-verboten-vom-langen-kampf-fuer-die-kinderrechte-100.html

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In Gesamtdeutschland ist erst seit dem Jahr 2000 gesetzlich die Gewalt gegen Kinder verboten.

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Buchtip

»Dieses Buch war längst überfällig.« Günter Wallraff

Ein Großteil der deutschen Nachkriegskinder ist ins Leben hineingeprügelt worden. Doch wie konnte es sein, dass Schläge mit Teppichklopfer, Kochlöffel und Rohrstock in der Schule und zu Hause völlig üblich waren? Und was wurde aus diesen Kindern, die in der Gewissheit aufwuchsen: Ich bin ein Nichts, ich gehöre bestraft? Ingrid Müller-Münch spürt diesen Fragen nach und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Erziehungsdebatte.

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Erziehung ist oft ein anderes Wort für Gewalt.

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Sehr ausführlicher Artikel bei der Bundeszentrale für politische Bildung

Gewalt gegen Kinder.
Jugendhilfe und Heimerziehung in der DDR

Junge Menschen, die sich den Normen des Arbeiter- und Bauernstaates nicht fügen wollten, konnten in der DDR zur „Umerziehung“ in ein Kinder- und Jugendheim eingewiesen werden. Dort waren Schikane, Demütigung und Gewalt an der Tagesordnung. Zur Entschädigung der Opfer wurde 2012 ein Fonds eingerichtet, der nun aufgestockt werden soll.

https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/182642/gewalt-gegen-kinder-jugendhilfe-und-heimerziehung-in-der-ddr/

Soweit ich es mitbekommen habe bekommen nur wenige Menschen Entschädigung und es ist schwer diese zu beantragen, auch ist es oft zuwenig. Ich hoffe sehr das sich da noch etwas ändert.

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Buchtip

Unerzogen, aufsässig, unverbesserlich – wer sich in der DDR nicht zur staatskonformen Persönlichkeit formen lassen wollte, erhielt solche Attribute und wurde oft in Umerziehungsheimen, Spezialkinderheimen, Jugendwerkhöfen weggesperrt.

Denn Angepasstheit und das Funktionieren im Kollektiv galten der SED als unverzichtbar für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. In das Leben renitenter Kinder und Jugendlicher wurde massiv eingegriffen, ihre Menschenrechte trat man mit Füßen. Viele von ihnen sind bis heute traumatisiert von den psychischen und physischen Misshandlungen. Grit und Niklas Poppe erklären anhand berührender Schicksale dieses wenig beachtete brachiale Umerziehungssystem und betrachten auch den Umgang mit „Schwererziehbaren“ zur NS-Zeit, das Schicksal der „Verdingkinder“ in der Schweiz sowie fragwürdige Methoden in der Bundesrepublik und in Heimen der Gegenwart.

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