Der Granatsplitter oder Laut gedacht

von Stephanie Mahl

Der Granatsplitter hängt als unausgesprochene Warnung in der Luft
eingefrohren im Flug
ein lebenslanges Standbild
eine Momentaufnahme des Unsagbaren.
Die Zeit vergeht in Zeitlupe
meine Mutter hat ihn nach direktem Beschuss mitgenommen,
aufgesammellt.
War er da noch heiß?
Die Banalität des Alltags kann nicht transportiert werden.
Wog er jeden Tag schwer in der Tasche?
Oder wurde er in ein heiliges Kistchen gelegt, bis eines Tages auf unserem Fensterbrett
bei all den anderen Kuriositäten, die das Leben vor die Füße spült.
Nein, er hatte seinen Platz eigentlich auf einem nie benutzten Schreibtisch.
Ein Symbol für sich…
Wer wäre meine Mutter geworden,
ohne den Granatsplitter,
wer ich?
Ein Granatsplitter –
da muss ein Krach gewesen sein, ohrenbetäubend!
das Herz muss bis zum Hals geschlagen haben Aber auch nachher die riesige Erleichterung – alle sind noch gesund,
sind noch da,
wohl auf.
Für diesen Teil der Geschichte fehlt die Symbolik…
Der Krieg hat uns seinen Stempel aufgedrückt, durch ein Sieb, das nur das Böse durch lies…
Das Leben hat er uns genommen,
auch auch wenn er es unseren Eltern nicht nahm.
Kriegsenkel sind wir
*
Der Granatsplitter hängt als unausgesprochene Warnung in der Luft – seit ich denken kann –
eingefrohren im Flug,
ein lebenslanges Standbild,
eine Momentaufnahme dessen,
Was nicht in Worten ausgedrückt werden kann,
Oder wurde,
Bei uns.

Die Granate ist direkt neben ihnen eingeschlagen.
Neben
meiner Mutter,
ihrer Schwester,
Ihrer Mutter,
Ihrem Vater,
Die beiden hatten
schon einmal
einen Krieg
erlebt.

Sie standen, bis aus einen Bruder, der im Krieg war
– Hergottnochmal, waren sie nicht im Krieg? –
Sie standen als einzige Deckung,
mit dem Rücken
an eine Mauer
gedrückt
und wurden
beschossen
……
Die Zeit vergeht
in Zeitlupe….
Ich stelle es mir vor
und kann es mir
doch nicht
vorstellen.
Direkter Beschuss

Eine Granate schlug in unmittelbarer Nähe ein.
Einen Meter oder so, habe ein Splitter neben ihr gelegen,
hat sie dann einmal erzählt.
Wo??
Einen Meter?!?
Neben meiner Mutter?!?
….

Danach hat meine Mutter den Granatsplitter jedenfalls aufgesammelt
und mitgenommen.
Als sie ihn aufhob,
war er da noch heiß?
Hat sie sich die Finger verbrannt?
Ist ein Granatsplitter überhaupt heiß?
Ist er dreckig?
Hat sie ihn in ein Taschentuch gewickelt?
Hatte sie überhaupt noch ein Taschentuch?
Papiertaschentücher und all diese Dinge gab es damals noch nicht.
“Wir hatten manchmal nicht mal einen Lumpen zum Putzen”,
so die Erzählung meiner Mutter.
Wie das war?
(Schulterzucken)
Kriegsalltag – die Dramatik in der Banalität lässt sich nicht in den Frieden transportieren.
Nur der Granatsplitter…
Wog der Splitter jeden Tag schwer in ihrer Tasche?
Ein Trost schon einmal davon gekommen zu sein…?
Oder hat sie ihn in ein heiliges Kistchen gelegt,
bis er eines Tages auf unserem Fensterbrett landete,
bei all den anderen Kuriositäten,
die das Leben meinen Eltern vor die Füße gespült hat.

Nein, jetzt fällt’s mir ein,
er hatte seinen Platz meistens auf ihrem nie benutzten Schreibtisch.
Ein „nie benutzter Schreibtisch“ ein Symbol für sich…
Wer wäre meine Mutter geworden,
ohne den Granatsplitter,
wer ich?

Ein Granatsplitter,
Bomben,
da muss ein Krach gewesen sein,
ohrenbetäubend!
Explosionen,
die Erde bebt,
Flammen schlagen die Häuser hoch,
die Nacht manchmal taghell,
wenn die Christbäume vom Himmel fielen,
so nannten sie die Leuchtkugeln, die ganze Städte als Ziel markierten,
das Herz muss bis zum Hals geschlagen haben,
der Körper gezittert…
Und nachher – diese riesige Erleichterung –
wir leben noch!
Alle sind noch da.
Alle unverletzt.
(„Gott sei dank!
Sonst wäre ich vielleicht niemals auf die Welt gekommen“, hab ich als Kind gedacht…)
Alle sind noch da.
Alle unverletzt.
Hat meine Mutter darüber jemals lebensfroh gejubelt?
Mir fehlt jede Erinnerung…
und für diesen Teil der Geschichte fehlt jede Symbolik…

Der Krieg hat uns seinen Stempel aufgedrückt, durch ein Sieb, das nur das Dunkle durch lies…
Das Lebendige hat er uns genommen,
auch wenn er unseren Eltern nicht das Leben nahm.
Es blieb nur „stirb“ und „Flammentod“,
nicht „werde!“
Kriegsenkel sind wir

Leider übernimmt das hier ja keine Textauszeichnungen, ich hatte meine Gedanken, im Gegensatz zur reinen Story, in kursiv gesetzt… Hoffe man versteht auch so… Fällt mir nicht ganz so leicht, dennoch wollte ich das jetzt machen, nachdem ich’s angefangen habe.

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